500 Wörter zum Thema: Wie lernen Hunde beißen?

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Ein Selbstversuch… don’t try this at home!

Von Frank Wieborg, Hundetrainer und Verhaltensberater

Lesedauer: ca. 3 Minuten

Als Hundehalter frage ich mich, wie es soweit kommen kann. Wie wird ein Hund, behütet aufgewachsen, bestens sozialisiert, ohne traumatische Erlebnisse, ohne hungern zu müssen, ohne zu früh von der Mutter getrennt zu werden, zu einem Hund, der Zähne fletschend, abwehrschnappend, drohend und beißend eine Ressource verteidigt.
Sind denn Hundehalter unfähig geworden eine Grenze zu setzen? Gehen sie Konflikten lieber aus dem Weg, anstatt sie auszudiskutieren? Was muss denn alles passieren, dass es so weit kommt?

Als Hundetrainer habe ich jetzt einen Selbstversuch gestartet.
Ziel: Meine 2 Jahre junge Chihuahua-Hündin Lilu soll mich beißen wollen!
Vorweg, es hat keine zwei Minuten gedauert und die kleine Lilu stand zähnefletschend vor mir und verteidigte ihr Rinderohr.

Man nimmt ein Rinderohr (die Ressource) und einen hungrigen Chihuahua und lässt die beiden gute 30 Minuten alleine. Jetzt nähert man sich an und führt die Hand langsam und zögerlich hinunter in Richtung Rinderohr. Sobald der Chihuahua dann auch nur die geringsten Anzeichen von Aggression zeigt (bei Lilu war es ein zittriges Hochziehen der Lefze), zieht man die Hand wieder erschrocken zurück.
Jetzt wird die langsame Annäherung wiederholt, man ignoriert jedoch das leichte Drohen und bewegt sich mit der Hand zögerlich weiter zum Rinderohr. Wenn es jetzt zu einer Steigerung des Aggressionsverhaltens kommt (bei Lilu war es ein Knurren), zieht man die Hand wieder erschrocken zurück.
Im Anschluss bewegte ich mich nochmal langsam mit der Hand in Richtung Rinderohr – bei Lilu hat das schon ausgereicht! Sie sprang herum, der Kopf war gesenkt, die Rute geklemmt, die Ohren angelegt, der Nasenrücken gerunzelt, die Lefzen hochgezogen mit einer langen Lippenspalte, die Zähne gebleckt. Lilu schnappte neben meine Hand in die Luft, man konnte die Zähne klacken hören. Sie knurrte und ihr gesamter Körper war komplett angespannt und steif. Ihr Blick ging an mir vorbei.
Selbstversuch beendet!
Lilu hat sehr schnell gelernt, wie sie eine Ressource verteidigen kann.

Ihr Aggressionspotenzial stufe ich der Situation und ihrer Persönlichkeit entsprechend als angepasst und normal ein. Sie hat sauber mit mir kommuniziert, hat mich gewarnt und ihren Standpunkt verteidigt. Das sind wichtige Fähigkeiten, die ein Hund zum Überleben braucht.
Ich war auf das Verhalten vorbereitet, es hat mich jedoch überrascht, dass es so schnell ging.

Wenn ein Hundehalter seinen Welpen zum ersten Mal knurren und zuschnappen sieht, ist es nicht verwunderlich, wenn er erschrocken zurückzuckt.
Aggression hat sich zu einem Tabuthema entwickelt und es fällt uns sehr schwer damit umzugehen. Jedoch gehören Aggressionen zum Verhaltensrepertoire eines Hundes dazu…
Liebe Hundehalter! Eure Hunde können beißen! Auch ein Labrador! Auch ein Golden Retriever! Auch wenn sie erst ein paar Wochen alt sind.
Bereitet euch auf Situationen vor, in denen euer Hund eine Ressource verteidigen könnte. Falls ihr Schwierigkeiten habt oder euch unsicher fühlt, dann holt euch Hilfe! Lasst das Problem nicht größer werden als es sein muss.

Ach ja, keine Angst! Genauso schnell wie ich diese Situation mit Lilu herstellen konnte, habe ich sie auch wieder aufgelöst. Unsere Beziehung hat keinen Schaden genommen, sie versucht jetzt nicht die Weltherrschaft an sich zu reißen, sie springt auch weiterhin unaufgefordert auf die Couch und ich kann ihr alles wegnehmen, wenn ich es für notwendig halte.